Newsletter der Amputierten-Initiative e.V. - Sollte diese eMail nicht korrekt dargestellt werden, klicken Sie bitte hier.
Newsletter der Amputierten-Initiative e.V. - Sollte diese eMail nicht korrekt dargestellt werden, klicken Sie bitte hier.
Platzhalter

Prof. Dr. med. Klaus Balzer,
ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, ehemaliger Chefarzt und Direktor der Gefäßchirurgischen Klinik Evangelisches Krankenhaus Mülheim a. d. Ruhr

Prof. Dr. med. Klaus Balzer   Prof. Dr. med. Klaus Balzer
Klaus Wowereit und Dagmar Gail   Prof. Dr. med. Klaus Balzer
Fotos: Ingo Heine ( www.heine-foto.de)
  Prof. Dr. med. Klaus Balzer


Rede vom 18. Januar 2011 im Hotel Steigenberger zum 20-Jährigen Bestehen der Amputierten-Initiative e.V. / Gefäßkranke - seit 1991 -

Sehr geehrte Frau Ministerialdirektorin, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, liebe Frau Gail und liebe Betroffene – entweder weil Sie selbst an der Krankheit leiden oder weil Sie mitleiden, weil einer Ihrer Angehörigen eben betroffen ist.
 
Mobilität ist Leben, ist geradezu ein Fetisch unserer Zeit. Es ist ein Merkmal des täglichen Lebens und unsere Lebensqualität hängt im Wesentlichen davon ab. Wir sind viel unterwegs mit dem Auto, der Bahn, dem Flugzeug und natürlich auch zu Fuß. Für mehr als 3 Millionen Menschen in Deutschland ist Letzteres nicht mehr so selbstverständlich, denn sie leiden unter einer Gefäßkrankheit, die ihre Lebensqualität einschränkt und ihre Gesundheit bedroht, eben der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Die Folgen können gravierend sein, davon haben wir schon gehört: Schmerzen beim Gehen - die sogenannte Schaufensterkrankheit, um das zunächst zu kaschieren -, offene Beine, aber auch Verlust von Gliedmaßen. Und die Zahl von 60.000 Amputationen im Jahr in Deutschland haben Sie schon gehört. Und diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren nicht verändert.
 
Es gab damals eine Deklaration von St. Vincent unter der Schirmherrschaft der WHO-EURO, auch Politiker machen ja gelegentlich Absichtserklärungen, und was man dann davon halten kann, sieht man ein paar Jahre später. Diese Deklaration von St. Vincent hat gesagt, wir sind doch gut. Die Medizin kann dort eine Menge leisten. Und 60.000 Amputationen, das sind eben mindestens 30.000 zu viel. Und wir machen mal das, was heute ja auch so überall gesagt wird, wir reduzieren einfach mal die Amputationsquote per se, das heißt also, die wird halbiert. Und das steht so in der Deklaration von St. Vincent, die 1989 stattgefunden hat, dass eben die Anzahl der Amputationen zu halbieren sei. Nun, wenn ich das so darstelle, dann wissen Sie und haben das ja auch schon gehört, dass wir von diesem Ziel meilenweit entfernt sind. Damit hängt natürlich nicht nur zusammen, dass die Ärzte nicht besser geworden sind, sondern unsere Patienten werden älter und kränker, die Risikofaktoren der Arteriosklerose nehmen ständig zu, insbesondere der Diabetes, der Hochdruck. Und natürlich auch die Feststoffwechselstörungen in Bezug auf das Rauchen hat die Gesellschaft ja einiges dazu gelernt in den letzten 20 Jahren, wenngleich auch nicht mit dem nachhaltigen Erfolg.
 
Nun, in den nächsten Augenblicken nach einer Amputation scheint es für den Betroffenen meist noch nicht vorstellbar zu sein. Es ist daher gut, wenn die Betroffenen wissen, nicht allein gelassen zu werden. Hierzu gehört das private Umfeld, die berufliche Situation, Ratgeber, die einem zur Seite stehen. Am wichtigsten sind aber Selbsthilfegruppen, die neben dem Gefühl, nicht allein gelassen zu sein, die wichtige Erfahrung vermitteln, Du bist auch nicht der Einzige, der von diesem Schicksal betroffen ist. Das ist wichtig, dass persönlich Betroffene zur Selbsthilfe Wege aufzeigen und bei Durchsetzung von berechtigten Forderungen behilflich sind.
 
Betroffene sind nach einer Amputation mit einer Vielzahl von Veränderungen konfrontiert, sie sind bei den Menschen, mit denen wir es im wesentlichen zu tun haben, nämlich mit den älteren, schwerer zu bewältigen als von jungen Menschen. Aber hier eine Wertung vorzunehmen, wäre ganz fatal. Dennoch, wir haben es gesehen, fast 90 % aller Amputationen haben nichts mit Unfällen oder bösartigen Krankheiten zu tun und finden auch nicht bei jungen Menschen statt, sondern sind Folge der am weitesten verbreiteten Krankheit überhaupt. Der Schlaganfall, Verkalkung und hier in dem Fall der peripheren arteriellen  Verschlusskrankheit. Oder dem Beininfarkt, wie diese Krankheit von der Gründerin der Amputierten-Initiative, Frau Gail, genannt wird.
 
Nun, an anderer Stelle heißt es eben Herzinfarkt oder Hirninfarkt, oder es wirkt sich als Schlaganfall aus, und die Bezeichnung beginnt sich auch in wissenschaftlichen Fachgremien durchaus durchzusetzen, weil dieser Vergleich zum Herzinfarkt und zum Hirninfarkt doch etwas sehr deutlich macht. Während wir nämlich beim Herzinfarkt und auch beim Schlaganfall von einer ehrenwerten Erkrankung sprechen, die einen eben wie der Schlag aus heiterem Himmel trifft, so ist das bei den peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen und bei der Beinamputation doch ganz anders, obwohl diese Krankheiten miteinander vergesellschaftet sind, wie wir das auch schon gehört haben, und häufig eben  gemeinsam auftreten werden. Wer einen Herzinfarkt hat, hat ein höheres Risiko, eine periphere arterielle Durchblutungsstörung zu bekommen – und umgekehrt.
 
Die häufigste Todesursache in unserer Gesellschaft ist der Herzinfarkt. Die dritthäufigste Todesursache ist der Schlaganfall. Aber die Krankheit mit der schlechtesten Prognose ist die periphere arterielle Verschlusskrankheit. Wir haben das schon gehört und Herr Diehm hat das eben in seinem Zitat ganz eindrücklich genannt. Und der Vergleich, den Sie, Frau Gail, in Ihrem Vortrag gestellt haben, dass nämlich ein Mensch mit einer solchen  Krankheit schlechter dran ist als eine Frau mit einem Mammakarzinom, zeigt eigentlich, auf welchem Terrain wir uns bewegen. Und dass diese Krankheit einfach von der Gesellschaft nicht ausreichend wahrgenommen wird.
 
Es wird ihnen vielleicht auch die gebührende Aufmerksamkeit nicht zuteil, weil es eben sich um eine etwas unappetitliche Krankheit handelt, da guckt man lieber weg. Sie beginnt mit stinkenden Geschwüren, mit hässlichen Nekrosen, wir haben solche Bilder gesehen, und mitunter ist die Öffentlichkeit nicht so aufmerksam mit jemandem, der unauffällig im Bett liegt und einfach nur schwach ist.
 
Wir bejubeln die Olympiasieger im Behindertensport, rümpfen aber die Nase über die arterielle Verschlusskrankheit am Bein, weil sie eben häufig mit diesen Dingen assoziiert wird. Das ist eben nicht sehr appetitlich, und wegen des Alters – es handelt sich ja um alte Menschen – wirkt sich diese Behinderung umso schlimmer aus, und zwar sowohl für die Betroffenen, aber auch in der Sicht auf diese Menschen. Denn alte Menschen haben in unserer Gesellschaft immer noch weniger Aufmerksamkeit als die jungen, kräftigen, starken.
 
Leider hat es sich auch unter Ärzten noch nicht ausreichend herumgesprochen, dass wir heute gute Chancen haben, diesen Schnitt zu verhindern oder ihn zumindest auf kleinere Bereiche des Fußes zu beschränken und um viele Jahre hinauszuzögern. Etwa 16 % aller Risikopatienten werden der Empfehlung nachkommen, ihre Füße täglich zu kontrollieren, was beim Diabetiker ganz besonders wichtig ist. Und nur 20 % der Ärzte untersuchen die Füße von Diabetikern oder Patienten mit einer arteriellen Durchblutungsstörung überhaupt. Meistens wird darüber hinweggegangen und erst dann reagiert, wenn es zu spät ist.
 
Um betroffenen Patienten Behinderungen überhaupt oder zumindest möglichst lange zu ersparen, müssen die behandelnden Ärzte unterschiedlicher Disziplinen enger zusammenarbeiten als dies heute geschieht. Mit den Gefäßzentren hat unsere Fachgesellschaft, für die ich hier reden darf, wirklich dieses Thema an den Hörnern gepackt und dafür gesorgt, dass diesem Mangel wirklich begegnet wird, denn die Gefäßzentren sind sozusagen von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie erfunden worden, einfach um die Kompetenz für diese Krankheit an den Patienten heranzubringen.
 
Vielen Dank für das Erreichte und alle guten Wünsche von mir persönlich, aber auch ganz offiziell im Namen der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, ich spreche für den Präsidenten Herrn Prof. Lang und auch für den Past-Präsidenten Herrn Prof. Eckstein, den ich am Wochenende getroffen habe, und die es beide bedauern, nicht persönlich hier sein zu können, aber ich soll Sie herzlich grüßen,
 
Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!
 
Schleife Mit freundlichen Grüßen
 
Ihre Dagmar Gail
Gründerin und Vorsitzende



Impressum:
Amputierten-Initiative e.V. / Gefäßkranke - seit 1991 -
Spanische Allee 140
14129 Berlin

Tel.: 030 - 803 26 75
Fax: 030 - 80 49 16 35

www.amputierten-initiative.de
info@amputierten-initiative.de

Vorsitz: Dagmar Gail (zu kontaktieren über die genannte Adresse)

Eingetragen im Vereinsregister unter 11822 Nz beim Amtsgericht Charlottenburg und als besonders förderungswürdig und gemeinnützig unter Gesch.-Z. 600/5543 anerkannt.